Krankheitsbild und Therapie aus westlicher Sicht
Übersicht
Besprochen werden soll hier, der wesentlich häufiger auftretende subjektive Tinnitus. Ein objektiver Tinnitus, d.h. ein Ohrgeräusch, das gleichzeitig von einem externen Beobachter registriert werden kann, ist extrem selten.
Klinisches Bild
- Beim subjektiven Tinnitus liegt eine fehlerhafte Informationsbildung im auditorischen System ohne Einwirkung eines akustischen Reizes vor. Vom Patienten werden die verschiedensten Ton- und Klangqualitäten ein- oder beidseitig, manchmal aber auch nicht lokalisierbar geschildert.
- Man unterscheidet nach Zeitverlauf einen akuten (besteht weniger als 3 Monate), einen subakuten (besteht zwischen 3 Monaten und 1 Jahr) sowie einen chronischen Tinnitus (besteht länger als 1 Jahr).
- Zudem wird unterschieden zwischen einem kompensierten und einem dekompensierten Tinnitus.
- Tinnitus kann Begleitsymptom bei orthopädischen, gnathologischen, internistischen und neurologischen Krankheitsbildern sein.
Therapie aus westlicher Sicht
- Neben der ausführlichen ärztlichen Beratung steht beim akuten in einigen Fällen auch beim subakuten Tinnitus wie beim Hörsturz die rheologische bzw. antiödematöse Therapie im Vordergrund. Eine kausale Therapie ist nicht bekannt.
- Beim chronischen Tinnitus wird vorwiegend die apparative Versorgung (Tinnitusnoiser, Tinnitusmasker) in Verbindung mit verhaltenstherapeutischen Maßnahmen (Tinnitusretraining-Therapie) angewendet.
Cave
- da das Symptom Tinnitus häufig nur eine Begleiterscheinung anderer otologischer Erkrankungen ist, ist die fachärztliche Abklärung unabdingbar!
Krankheitsbild und Therapie aus Sicht der chinesischen Medizin
Übersicht
In der chinesischen Medizin werden den Krankheitsbildern Tinnitus, Schwerhörigkeit oder Taubheit dieselben Pathomechanismen zugrunde gelegt. Die Ohren zählen zu den Sinnesöffnungen. „Die Ohren sind der Versammlungsplatz der Gefäße“. Sie haben eine enge Beziehung zu den Funktionskreisen, Leber, Herz, Gallenblase, Milz und dem „Meer des Markes“. Die Fähigkeit zu hören beruht auf der Ernährung mit Jing (Struktivpotential), welches über die Akupunkturleitbahnen von den Funktionskreisen (v.a. Nieren) zur Verfügung gestellt wird. Jede Störung dieses Ernährungsweges führt zu Tinnitus oder Schwerhörigkeit.
Die schallwahrnehmungsbedingte nervöse Schwerhörigkeit wird in der chinesischen Medizin der Kategorie „Schwerhörigkeit“ (Erlong) zugerechnet.
Aufgrund der vielfältigen Gründe für Tinnitus, ist eine genau Differenzierung der Symptome und eine vertiefte Kenntnis der Krankheitsmodell in der TCM ist erforderlich. Mit Hilfe einer individuelle Anamneseerhebung, Zungen- und Pulsdiagnostik ist die richtige Diagnose mit Hilfe einer jeweils typischen Klinik zu stellen.
Therapie:
Wesentliche Therapiesäulen der Behandlung von Tinnitus in der TCM sind Akupunktur, chinesische Arzneimitteltherapie, Tuina, Qigong und die chinesische Diätetik.
Studien:
Acupuncture for the treatment of tinnitus: A systematic review of randomized clinical trials, Jong-In Kim, 2012, Medical Research Division, Korea Institute of Oriental Medicine, Daejeon 305-811, South Korea
Effectiveness of acupuncture in individuals with tinnitus: randomized controlled trial, Marcelo Yugi Doi, 2014, Rehabilitation Sciences, Universidade Norte do Paraná (UNOPAR), Paraná, PR, Brazil.
The effects of acupuncture on the inner ear originated tinnitus, Mehrdad Rogha, 2010- 2011, Alzahra and Kashani hospitals in Isfahan, Iran.
Wang K, Bugge J, Bugge S. A randomised, placebo-controlled trial of manual and electrical acupuncture for the treatment of tinnitus. Complement Ther Med. 2010.
Prokop, Zheng, Die Effektivität der Akupunktur bei Tinnitus , Wien 2020
Vertiefte Betrachtung der Krankheitsmodelle in der TCM für Fortgeschrittene mit Grundlagenkenntnis in der TCM:
Agenzien und Pathogenese
Differentialdiagnostik:
Schwäche, Mangel Fülle
alt jung
Beginn schleichend Beginn plötzlich
schwach kräftig
hochfrequent, Pfeifen, wellenförmig laut dröhnend, geht nie weg
Druck auf Ohr bessert Druck auf Ohr verschlimmert
Man unterscheidet folgende Ursachen die aufgrund ihrer typischen klinischen Symptome zu differenzieren sind:
- A Wind Hitze blockiert den Lungen Funktionskreis (FK):
Krankheitsauslöser (Heteropathien) wie die sog. Wind-Hitze dringen, aufgrund der oberflächlichen Lage, als erstes in den Lungenfunktionskreis ein. Ein Wind-Hitze Prozess im Lungen FK beruht entweder, auf tatsächlich, von außen eingedrungenen klimatische Exzess wie Wind in Kombination mit Hitze (z.B. eine Fön Wetterlage), oder auf einen in Hitze (Entzündung) umgewandeltem von außen eingedrungenem Kälte -und Wind -Faktor. Der Lungen Funktionskreis ist über Akupunkturleitbahn mit den Ohren verbunden. Wenn Wind Hitze im Lungen FK nach oben steigt, kann diese Tinnitus erzeugen.
- B Emporlodernde Hitze/ Glut im Leber Funktionskreis (FK):
Häufigste Ursache ist lang andauernder Zorn, Groll, unterdrückter Ärger oder Frustration. Durch Stagnation des Leber Qi entsteht Hitze. Glut im Leber-FK hat die Tendenz, Richtung Kopf emporzulodern. Er steigt auch zu den Ohren empor und „bewölkt“ dort die Sinnesöffnungen, was zu Tinnitus führt. Die Leber-Leitbahn hat außerdem eine außen/innen-Beziehung zur Gallenblasen-Leitbahn. Die Gallenblasen Akupunkturleitbahn führt zu den Ohren.
- C Emporschlagendes Yang im Leber Funktionskreis (FK):
Kann Resultat einer Schwäche des Yin im Leber FK und Nieren FK sein. Wenn das Yin das Yang der Leber nicht richtig kontrollieren kann, steigt das letztere auf, stört die Ohren und kann so Tinnitus hervorrufen.
- D Mangel des Blutes (Xue) und des Yin der Leber:
Entsteht durch mangelhafte Erzeugung von Blut (Xue) durch den Milz -FK, große Blutverluste oder chronische Krankheiten, die Yin-Xue konsumieren. Die Fähigkeit zu hören beruht auf der Ernährung mit Struktivpotential und Xue. „Der Leber Funktionskreis speichert das Xue“*. Bei Mangel des Xue werden die Ohren nicht ausreichend ernährt. Tinnitus kann entstehen.
- E Nieren Yin Mangel:
durch übermäßige sexuelle Aktivität, angeborene Schwäche, Alterung, oder chronische Krankheiten. „Der Nieren -FK öffnet sich in den Ohren“ *oder „Der Nieren FK erhält Struktivpotential von allen inneren Organen“*. Bei Mangel des Yin der Nieren, werden die Ohren nicht ausreichend ernährt und es kann Tinnitus entstehen.
- F Nieren Qi Mangel :
durch Alterung, frühe oder übermäßige sexuelle Aktivitäten, etc. Sobald eine Schwäche des Qi der Niere besteht, wird als erstes weniger Struktivpotential (Jing) erzeugt und umgewandelt, da das Nieren -Qi und das Struktivpotential sich wechselseitig erzeugen und umwandeln. Zum zweiten lässt der Nieren-FK in seiner Speicherfunktion nach, was zu einem Verlust und dadurch zu einer Schwächung des Struktivpotentials führt.
Historische Betrachtung und Zitate: “Der Nieren Fk öffnet sich in den Ohren“*. Daher rührt die Fähigkeit zu hören hauptsächlich auf der Ernährung mit Struktivpotential. Qi renale erzeugt Jing, und Jing erzeugt Mark (Nerven). „Das Gehirn ist das Meer des Markes“*. Bei Schwäche des Nieren Qi werden weniger Mark (Nerven) erzeugt. Als Ergebnis ist das Mark nicht in der Lage, die Höhlung des Schädels zu füllen und kann leicht geschüttelt werden. „Schütteln des Gehirns führt zu Tinnitus“*. Daher kann Tinnitus entstehen.
- G Zusammenbruch der Wechselbeziehung zwischen Herz und Nieren-FK:
durch übermäßige Glut (Entzündung) im Herz FK, verursacht entweder durch Übermaß an den fünf Emotionen oder Schwäche des Nieren Qi durch sexuelle Exzesse, Masturbation etc..
Physiologischer Weise sollte das Herz Feuer aus dem oberen Teil des Körpers herabsteigen und mit dem Nieren- Wasser im unteren Teil des Körpers interagieren und umgekehrt. Wenn dies nicht geschieht, entweder aufgrund von zu viel Feuer (Hitze) im Herz-FK oder Schwäche des Nieren-Qi, wird die Wechselbeziehung zwischen Herz -Fk und Nieren -FK unterbrochen. In diesem Falle kann das Herz-Feuer alleine hochflackern oder das sogenannte ministerielle Feuer, dessen untere Quelle das Feuer der porta fortunae ist, kann in den Herz Fk eindringen. In diesem letzten Fall verbindet sich ministerielles Feuer mit Herz- Feuer, um aufzulodern. Die Nieren Akupunkturleitbahn hat Verbindungen zum Ohr, „Das Yin-minor Leitbahn der Hand (Herz-LB) kommuniziert mit den Ohren über vernetzte Leitbahnen“*. Wenn Herz- Feuer hochflackert und die Ohren stört, entsteht Tinnitus.
- H Milz Qi Mangel:
durch konstitutionelle Schwäche, Diätfehler mit Beschädigung von Magen- und Milz-FK, chronische Krankheiten, übermäßiges Grübeln, Ängstlichkeit oder Sorgen.
Der Milz -FK ist die Quelle der Erzeugung und Umwandlung von Qi und Xue. Die Fähigkeit zu hören beruht auf der Erwärmung und Ernährung durch Qi und Xue. Bei Schwäche des Milz Qi werden daher die Ohren ausreichender Ernährung beraubt. In Folge kann Tinnitus entstehen. Darüber hinaus kann klares Qi nicht bereitgestellt werden, um die Ohren zu ernähren, und Feuchtigkeit kann nicht transformiert werden. Das kann zu einer Blockade in den vernetzten Leitbahnen in den Ohren führen. Feuchtigkeit als Störung (Heteropathie) ist eine Art trübe Flüssigkeit, deren Natur es ist zu fließen. Wenn sie zu langsam fließt, kann Tinnitus entstehen.
- I Glut und Schleim:
durch unregelmäßige Nahrungsaufnahme, falsche Ernährung mit Beschädigung der Milz, kommt es zu Ansammlung von Schleim. Durch emotionales Ungleichgewicht, kommt es zu Stagnationen des Leber Qi, welches Hitze erzeugen kann. Die Splendor-Yang-Leitbahn des Fußes (Magen -LB) ist direkt mit den Ohren verbunden. Wenn Hitze mit Schleim der Leitbahn entlang hochsteigt kann Tinnitus entstehen. Darüber hinaus ist Schleim als Störung (Heteropathie) eine Art zähe Flüssigkeit deren Natur ist es zu fließen. Wenn sie nicht fließt, entsteht Tinnitus.
- J Qi-Stagnation und Blut (Xue)-Stase:
entstehen durch Frustration, die Stagnation des Leber-Qi verursacht, oder durch Traumata, die zu Qi-Stagnation und Xue-Stase führen. Da Qi und Blut (Xue) eng miteinander verknüpft, sind kann Qi-Stagnation zu Xue-Stase führen und umgekehrt. Bei Qi-Stagnation und Xue-Stase können die Ohren nicht ausreichend ernährt werden. Als Ergebnis kann Tinnitus entstehen.
- * = historische Zitate